Der geschichtsträchtige Bau an der Bahnhofstrasse 3 wird bis Ende 2024 umfassend modernisiert und soll künftig den oberen Abschnitt der Zürcher Einkaufsstrasse aufwerten. Er wird sowohl aus städtebaulicher Sicht als auch wegen seiner innovativen Wärme- und Kälteversorgung mit Seewasser in Kombination mit Solarstrom neue Massstäbe setzen.
Die Zürcher Bahnhofstrasse ist die wohl bekannteste Shoppingmeile der Schweiz. Für die meisten Passant*innen endet sie jedoch am Paradeplatz. Die wenigen hundert Meter bis zum See sind – abgesehen von ein paar Ausnahmen – shoppingtechnisches Niemandsland. Das soll sich bald ändern. Ende 2024 wird das Geschäftshaus an der Bahnhofstrasse 3 nach einer kompletten Sanierung neu eröffnet. An den 1880 errichteten Bau des Gottfried-Semper-Schülers Albert Müller und den ersten grossen Umbau von 1930 anknüpfend, hat das Zürcher Architekturbüro Studio Märkli ein Konzept entwickelt, welches das Gebäude auf die heutigen Bedürfnisse transformiert. Gleichzeitig will die Genossenschaft zum Baugarten als Bauherrin das städtebauliche Potenzial nutzen und die obere Bahnhofstrasse mit einem architektonischen Highlight stärken und beleben. Der Neubau im historischen Kleid bietet eine hohe Nutzungsflexibilität und wird in Einklang mit den denkmalpflegerischen Vorgaben realisiert.
Sichtbar wird die Transformation vor allem im Inneren. Auf Basis einer umfassenden Analyse stellten die Planenden schnell fest, dass das mehrfach umgebaute und mit Zwischendecken versehene Gebäudeinnere die Ansprüche an eine zeitgemässe Haustechnik und einen hohen Nutzerkomfort nicht zu erfüllen vermag. Um Platz für ein modernes Innenleben zu schaffen, wurde der Bestand komplett zurückgebaut.
Die denkmalgeschützte Fassade bleibt weitestgehend erhalten, Änderungen gibt es nur punktuell. Gleichzeitig wird das Gebäude um zwei Attikageschosse mit einer begrünten Dachterrasse aufgestockt. Mit dieser Profilangleichung will man den historischen Bau, der nach seiner Erstellung die erste Schweizer Börse beherbergte, im Sinne einer Harmonisierung an die Nachbarliegenschaften anpassen. Damit sich das Volumen zur Bahnhofstrasse hin öffnet, wird das Erdgeschoss auf das Strassenniveau abgesenkt und mit einladenden Eingangsbereichen und Schaufenstervitrinen aufgewertet. Die unteren Geschosse werden das Modegeschäft Grieder beherbergen. Die oberen Etagen werden künftig von der amerikanischen Bank Goldman Sachs als Büroräume genutzt.
Die Genossenschaft zum Baugarten legt grossen Wert auf Ökologie. So soll der Bau nach dem amerikanischen Gebäudelabel LEED zertifiziert werden. Zur Sicherstellung eines ökologischen Arbeitsumfeldes wird das Gebäude zusätzlich zahlreiche Minergie-Eco-Standards erfüllen. Zu den Wünschen der Bauherrschaft gehörte überdies eine fossilfreie Versorgung mit Wärme und Kälte. Mit dem Ziel, den Nutzer*innen hohen Komfort und ein angenehmes Innenraumklima zu bieten, haben wir ein innovatives und fossilfreies Konzept für die Energieversorgung entwickelt. Dabei kam dem Planerteam die Lage entgegen: «Durch die unmittelbare Nähe zum Seebecken lag die Nutzung von Seewasser sowohl für Heiz- wie für Kühlzwecke auf der Hand», erklärt unser Projektleiter David Füllemann. Laut Ron Stelzig von der Fanzun AG, die für das Projekt Baugarten als Bauherrenvertretung tätig ist, wurden anfänglich auch Erdwärmesonden in Betracht gezogen. Aufgrund der hohen Investitionskosten auf Bauherrenseite und möglicher Risiken infolge der sehr tiefen Bohrungen in einem schwierigen Baugrund wurde die Idee fallen gelassen.
Bevor die Bahnhofstrasse 3 allerdings Teil des bereits seit 2003 bestehenden Seewasserverbunds Fraumünster werden konnte, musste der Verbund erweitert werden. Denn durch die geplante Vergrösserung des Versorgungsgebietes erhöhte sich auch die Wassermenge, die von der in 15 Metern Tiefe liegenden Fassung zu den Energiezentralen befördert werden musste. Weil dies die Kapazität der bestehenden Pumpen überstieg, entwickelte ewz eine europaweit einzigartige Lösung: Statt das Seewasser wie üblich mit Pumpen an Land anzusaugen, «drücken» wir dieses von im Seebecken platzierten Unterwasserpumpen zu den Energiezentralen. Das hat den Vorteil, dass Einbussen beim Wirkungsgrad weitgehend vermieden werden können. «Mit der im Februar 2022 neu installierten Pumpenplattform im Seebecken haben wir die Kapazität des Seewasserverbundes Fraumünster verdoppelt», führt Füllemann aus. Im Endausbau wird er nebst der Bahnhofstrasse 3 weitere Gebäude im Quartier rund um den Paradeplatz mit Wärme und Kälte versorgen.
In der Energiezentrale, die sich im Gebäude befindet, durchläuft das Wasser einen Filter, um es von Muscheln zu reinigen. Über einen Wärmetauscher findet der Energieaustausch mit dem Sekundärkreis statt. Mithilfe einer Wärmepumpe wird das Wasser auf die gewünschte Temperatur gebracht und in die einzelnen Geschosse verteilt. Für die Kühlung kommt mehrheitlich Freecooling zur Anwendung, bei dem Seewasser (ohne den Einsatz von Kältemaschinen) direkt genutzt wird. Das ist eine äusserst ökologische und wirtschaftliche Alternative zu Klimaanlagen, die grosse Mengen an Energie verbrauchen. Die im Winter durch die Wärmeproduktion entstehende Kälte lässt sich weitgehend im Gebäude nutzen, beispielsweise zur Kühlung der Serverräume. Die Abwärme der Server verwenden wir unter anderem für die Warmwasseraufbereitung.
Zu unserem Contracting gehört auch die Photovoltaikanlage auf dem Dach der Liegenschaft. Ein Vertrag mit der Bauherrschaft regelt, dass die Genossenschaft zum Baugarten die Dachfläche zur Verfügung stellt. ewz realisiert die Anlage und darf den produzierten Strom nutzen. Der Solarstrom kommt grösstenteils für den Betrieb der Wärmepumpe zum Einsatz. Reicht die produzierte Menge einmal nicht aus, beziehen wir erneuerbaren Strom aus dem Netz.
Die Bahnhofstrasse 3 wird eine der ersten Liegenschaften sein, die in den geplanten Verbund CoolCity (Seewasserverbunde Zürichsee) integriert wird – vorausgesetzt, der Stadtzürcher Gemeinderat und die Stimmberechtigten geben grünes Licht für den Bau, der künftig die Gebäude der Zürcher Innenstadt mit Kälte und Wärme versorgen soll. Verläuft alles nach Plan, soll dies etwa zwischen 2028 und 2030 der Fall sein. Der Anschluss weiterer Liegenschaften folgt später.
Der Wechsel vom Fraumünster- in den CoolCity-Verbund ist laut Füllemann allerdings nicht ganz ohne: «Da dies die erste Liegenschaft ist, die dereinst zu CoolCity gehören soll, müssen wir heute bereits sämtliche Überlegungen für die spätere Integration anstellen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns für die Zukunft nichts verbauen», erklärt Füllemann.
Mit dieser effizienten Art von Heizung und Kühlung bieten wir eine zu 100% fossilfreie Energielösung. Für die Bauherrschaft ist das Contracting mit einer Laufzeit von 30 Jahren nicht nur ökologisch und wirtschaftlich, es bringt auch Vorteile hinsichtlich des Komforts: «ewz ist ein guter Partner für uns, der jederzeit zuverlässig fossilfreie Energie liefert», findet Stelzig. Die Bauherrschaft trage keinerlei Risiko, denn der Energiedienstleister sorge nebst der Finanzierung mit einem Servicevertrag auch für den Unterhalt und den reibungslosen Betrieb der Energieversorgung. Sollte das System dennoch einmal ausfallen, stehen Redundanzen zur Verfügung. «Für die Eigentümerschaft ist das ein ideales Rundum-sorglos-Paket», sagt Stelzig.